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Eine Frau und ein Mann küssen sich

Szenenfoto: ›Das siebende Jahr‹ (DDR 1969, Regie: Frank Vogel) © DEFA-Stiftung, Waltraut Pathenheimer

Frische Bilder einer zeitlosen Zerrissenheit

Inhalt

Das DEFA-Spielfilmschaffen umfasst gut 730 Titel, die zwischen 1946 und 1992 produziert wurden. Während kanonische oder populäre Filme wie beispielweise ›Die Legende von Paul und Paula‹ (DDR 1973, Regie: Heiner Carow) oder ›Solo Sunny‹ (DDR 1980, Regie: Konrad Wolf) weithin bekannt sind und alljährlich unzählige Male aufgeführt werden, bleiben viele herausragende Produktionen leider Randerscheinungen auf der Kinoleinwand, sind weder im Fernsehen zu sehen noch als Kaufmedium oder via Streaming zugänglich. Ein umfassender Einblick in das mannigfaltige Schaffen der DEFA-Filmproduktion ist somit deutlich erschwert; bedeutende, oft zu Unrecht wenig(er) beachtete Werke finden sich dadurch kaum mehr im Bewusstsein der heutigen Kinokultur. ›Das siebente Jahr‹ von Frank Vogel (DDR 1969) ist hierfür ein eklatantes Beispiel. 

Vogel zählte mit seinem ›Denk bloß nicht, ich heule‹ (DDR 1965/90) im Dezember 1965 zu den nach dem 11. Plenum des ZK der SED von einem Verbot betroffenen Filmschaffenden. Nach einer staatlichen Auftragsproduktion zur propagandistischen Legitimierung des Mauerbaus (Regie bei einer Episode von ›Geschichten jener Nacht‹, DDR 1967) konnte er erst drei Jahre später mit ›Das siebente Jahr‹ wieder ein künstlerisch eigenständiges Werk realisieren. Erstmals verfasste er selbst das Drehbuch; der unter dem Arbeitstitel ›Bist du glücklich?‹ von Mai bis Juli 1968 gedrehte Film feierte seine Premiere am 28. Februar 1969.

Noch sieben Tage bis zum siebten Hochzeitstag: Die 32-jährige Herzchirurgin Barbara Heim (Jessy Rameik) hinterfragt die sieben Jahre ihres bisherigen Ehe-Lebens und sucht nach Perspektiven für ihre Zukunft. Barbaras Dasein ist geprägt vom alltäglichen Spagat zwischen kräftezehrendem, häufig frustrierendem Beruf und allzu oft vernachlässigtem Zusammensein mit Tochter Gabi und Ehemann Günter (Wolfgang Kieling), einem erfolgreichen und von Frauen umschwärmten Theaterstar.

Mittels seiner originellen, doppelt strukturierten Narration – einer Kapitelaufteilung in sieben Tage sowie einem selbstreflexiven Voiceover der Hauptfigur – verhandelt ›Das siebente Jahr‹ Themen wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Konfliktpotentiale zwischen öffentlichem und Privatleben, Wechselverhältnisse von Wissenschaft und Kunst. Die filmische Darstellung arbeitender Frauen, auch in akademischen Funktionen, entsprach den gesellschaftlichen Gegebenheiten der DDR, wo Frauen regelhaft berufstätig waren. Zahlreiche DEFA-Filme ab den ausgehenden 1960er-Jahren diskutierten den Zusammenprall von Arbeitsanforderungen und Privatleben bei weiblichen Werktätigen, was zuvorderst die Doppelbelastung von Berufsausübung auf der einen, das Management von Haushalt und Kindererziehung auf der anderen Seite bedeutete: Auch die Protagonistin in Vogels Film resümiert über eine Aufspaltung zwischen einer »Arbeits-Barbara« und einer »Familien-Barbara«.

Trotz der vermeintlichen Schwere der verhandelten Themenfelder gelingt Vogel ein frischer, in der Handlungsführung mit Leichtigkeit gestalteter Film. Unterstützt wird dies durch Peter Rabenalts jazzige Musikkompositionen, vor allem aber durch die dokumentarisch-beobachtende Kamera von Roland Gräf. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen sich dabei oftmals, so in den mit medizinischer Genauigkeit inszenierten Szenen im OP-Saal (gedreht in der Berliner Charité) oder anlässlich einer Theaterpremiere mit anschließender Feier, bei der viele »reale« Schauspieler des Deutschen Theaters Berlin (wie Eberhard Esche und Cox Habbema) auftreten. Das Zusammenspiel dieser Elemente macht ›Das siebente Jahr‹ zugleich zu einem Porträt der Stadt Ost-Berlin in den späten 1960er-Jahren.

Die zeitgenössische Filmkritik fiel gemischt aus. Im Filmspiegel entbrannte sogar eine Polemik, nachdem Kritiker Friedrich Salow in der 1969/06-Ausgabe von einem »Film ohne innere Konsequenz«, der neue Strukturen versuche, aber in alte Klischees zurückfalle, gesprochen hatte, woraufhin DEFA-Regisseur Kurt Maetzig in der Ausgabe 1969/08 mit Nachdruck konterte, dass er ›Das siebente Jahr‹ für den »besten Gegenwartsfilm der DEFA der letzten Jahre« halte. Einhellig und allseits gelobt wurde hingegen die intensive Darstellung der Barbara durch Jessy Rameik. Die Schauspielerin und Sängerin, die zuvor vorwiegend im Theater aktiv gewesen war, brillierte hier erstmals in einer Filmhauptrolle. Diskussionsträchtiges Politikum war zudem die Besetzung von Wolfgang Kieling: Der West-Berliner Schauspieler, der von 1954-57 schon einmal in der DDR gelebt und bei der DEFA gearbeitet hatte, trat nach seiner erneuten Übersiedlung in die DDR 1968 erstmals wieder in einem DEFA-Film auf – und verkörperte mit der Rolle des Günter sein alter ego.

Die Aufführung des nun digitalisierten und als DCP vorliegenden Films ermöglicht die (Wieder)-Entdeckung eines bislang zu wenig bekannten, aber bemerkenswerten Werkes und dessen willkommene Neubewertung. ›Das siebente Jahr‹ wird im Rahmen des Filmspottings am 30.10.23 um 19:00 Uhr im Kino Arsenal gezeigt. Tickets und weitere Informationen hier.

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Mirko Wiermann

Der studierte Mediziner arbeitete zunächst als Assistenzarzt in der Klinik für Hämatologie/Onkologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ab 2005 Studium der Theater- und Filmwissenschaft an der FU Berlin. Zwischen 2008 und 2016 war er wiederholt wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums Berlin. Seit März 2016 gehört er zum Team der DEFA-Stiftung und ist für den DEFA-Filmverleih innerhalb der Deutschen Kinemathek verantwortlich.

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