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Concept Art Capitol (Altes Museum Berlin; digital erweitert)

Concept Art Capitol (Altes Museum Berlin; digital erweitert) in ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence), Szenenbild: Uli Hanisch, Zeichnung: Thomas Möhring; Quelle: Deutsche Kinemathek – Uli-Hanisch-Archiv

»Ist es ein Werk, eine Stadt, eine Maschine?«

Inhalt

Seit 2005 verwahrt die Deutsche Kinemathek das Archiv des Production Designers Uli Hanisch. Nach Drehschluss kommt stets neues Material ins Haus: Modelle, Entwürfe und Pläne, Farbkonzepte und Mood Boards. Unsere Kuratorin Kristina Jaspers durfte Uli Hanisch am Set von ›Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ in Babelsberg besuchen. Aus Anlass der Übernahme der Materialien spricht sie mit ihm in diesem zweiten Teil der dreiteiligen Interviewreihe für ArchiVistas über Locations in Berlin und anderso.

Bei der Gestaltung der Hauptstadt von Panem fallen mir die vielen Säulen auf. Du verbindest mit ihnen das Olympiastadion, die Museumsinsel und die ehemalige Stalinallee. Das preußische Arkadien wird so in eine Monumentalarchitektur überführt …

Tatsächlich waren die von dir genannten Bauten ein sehr starkes Argument, um die Produktion nach Berlin zu bringen. Wir können hier auf relativ engem Raum ganz unterschiedliche repräsentative Baustile anbieten, die sich miteinander verbinden lassen. Du hast hier die wilhelminischen und klassizistischen Rudimente auf der Museumsinsel. Wir stellen uns direkt frontal vor das Alte Museum, nutzen diese ausufernde Fassade und setzen noch weitere Gebäudeteile drauf, die es nicht gibt. Dann das Olympiastadion, in all seiner Monstrosität, das wir in Teilen für die Außenansicht der Arena verwenden, und schließlich die ehemalige Stalinallee mit ihrem überdimensionierten Pomp. Letztendlich ist es, wie du sagst: All diese architektonischen Angebereien lassen einen über diese Verbindungslinien von repräsentativer Architektur nachdenken. Säulen, Säulen, Säulen!

  • Concept Art Cafe Corso (Karl-Marx-Allee Berlin; digital erweitert)

    Concept Art Cafe Corso (Karl-Marx-Allee Berlin; digital erweitert) in ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence), Szenenbild: Uli Hanisch, Zeichnung: Thomas Möhring; Quelle: Deutsche Kinemathek – Uli-Hanisch-Archiv

  • Concept Art Cafe Corso (Karl-Marx-Allee Berlin; digital erweitert)

    Concept Art Cafe Corso (Karl-Marx-Allee Berlin; digital erweitert) in ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence), Szenenbild: Uli Hanisch, Zeichnung: Thomas Möhring; Quelle: Deutsche Kinemathek – Uli-Hanisch-Archiv

Säulen finden sich auch in dem Labor von Dr. Gaul, gespielt von Viola Davis. Die Außenansicht ist an die James-Simon-Galerie angelehnt, den Innenteil habt ihr im Krematorium Baumschulenweg gedreht. Welche gestalterischen Überlegungen gab es dazu?

Dr. Gaul ist ja eine interessante Figur, quasi die graue Eminenz und federführende Kraft im Hintergrund. Offiziell ist sie Head Gamemaker und Lehrende, vor allem ist sie jedoch eine Art Hightech-Frankenstein und führt unheimliche Versuche durch. Man fragt sich, ist sie eine Wissenschaftlerin, oder die eigentliche Strippenzieherin des Systems? Handelt es sich um ihr geheimes Labor, oder braucht sie den Raum eher zum Repräsentieren und Einschüchtern? Wir haben uns entschieden, dass es mit Abstand der modernste Ort in dieser Welt ist. Hier wird die Zukunft gemacht! Wir haben dann diese Regalvitrinen entworfen, im neusachlichen Stil von Stahlrohrmöbeln und fügen die in die sakrale Säulenarchitektur des Krematoriums in Treptow ein. Die Vitrinen sind gefüllt mit Präparaten, mit seltsamen tierkombinierten Wesen, kleinen Monstren. Da haben wir eng mit den Creature-Effekt-Leuten zusammengearbeitet. Unsere Set Dresser haben darüber hinaus noch mit Stofftieren und Wachs herumexperimentiert und schrecklich schöne Resultate erschaffen. Man weiß nie genau, was man da erkennt, aber es ist sehr unheimlich.

  • Creature Zitadelle in ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence), Creature Effects: Jörn Seiffert/Twillight Creations; Foto: Uli Hanisch

  • Creature Zitadelle in ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence), Creature Effects: Jörn Seiffert/Twillight Creations; Foto: Uli Hanisch

Der zentrale Schauplatz des Films ist die Arena. Die habt ihr in der Jahrhunderthalle in Wrocław in Polen realisiert. Welche Eingriffe habt ihr da vorgenommen?

Es geht ja darum zu erklären, dass die ›Hunger Games‹ erst zu einem richtigen Spektakel gemacht werden sollen. Im Roman ist es eine offene Arena, aber wir haben relativ schnell gemerkt, dass eine geschlossene Halle viel besser den Eindruck von einem Gefängnis vermittelt, aus dem die Tribute nicht entkommen können. Um den Kampfplatz, also das Spielfeld, abzuschließen, mussten wir eine geschlossene Mauer drumherum ergänzen.

  • Entwurf Mauerbegrenzung Arena (Jahrhunderthalle Wrocław), ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence), Szenenbild: Uli Hanisch, Zeichnung: Thorsten Klein; Quelle: Deutsche Kinemathek – Uli-Hanisch-Archiv

  • Entwurf Mauerbegrenzung Arena (Jahrhunderthalle Wrocław), ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence), Szenenbild: Uli Hanisch, Zeichnung: Thorsten Klein; Quelle: Deutsche Kinemathek – Uli-Hanisch-Archiv

Die sollte das Feindselige, Einschüchternde und Abweisende verstärken. Wir haben die Segmente zunächst wie zornige Gesichter stilisiert, mit geöffneten Mündern. Das war am Anfang noch viel stärker, wir haben es später deutlich zurückgenommen. Du entwirfst das ja zunächst so in kleinen Modellen und irgendwann fiel uns ein, okay, die Dinger werden acht Meter lang, da muss man aufpassen.

Der dritte Akt spielt im District 12. Die Szenen habt ihr im Ruhrgebiet realisiert. Du kommst ja aus der Gegend und hast dort deine ersten Filme gedreht …

Genau, das war sehr anrührend für mich, dahin zurückzukehren. Mein erster Film mit Christoph Schlingensief, ›Das deutsche Kettensägenmassaker‹, entstand 1990 im Landschaftspark Nord. Ein magischer Ort! Wir haben für die ›Hunger Games‹ überall nach eben solchen Industrieruinen gesucht, aber einfach nichts Besseres gefunden. Das irre am Landschaftspark ist, dass er so riesig, überdimensioniert und martialisch ist. Du verstehst den Ort nicht: Ist es ein Werk, eine Stadt, eine Maschine? Es ist ein Moloch, man kann dort alles behaupten!

  • Dreharbeiten District 12

    Dreharbeiten District 12 (Duisburg-Meiderich) in ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence); Foto: Uli Hanisch

  • Dreharbeiten District 12

    Dreharbeiten District 12 (Duisburg-Meiderich) in ›The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ (USA 2023, Regie: Francis Lawrence); Foto: Uli Hanisch

In den bisherigen Filmen war der District 12 immer ein seltsamer Nebenschauplatz. Das sollte der Industriestandort von Panem sein, aber das hatte eher die ruinöse Atmosphäre von etwas Vergangenem. Das kann man durchaus mit dem teilweise stillgelegten Ruhrgebiet von heute vergleichen. In den 1960er-Jahren hingegen fand dort die Hauptproduktivität statt. Wir konnten also behaupten, District 12 befindet sich jetzt in unserem Film in einem ähnlichen Zustand wie das Ruhrgebiet in den 1960ern und ist für den Staat entsprechend wichtig. Das erklärt auch die hohe Militärpräsenz mit den Friedenswächtern, die quasi als übertriebener Werkschutz dienen. Dann macht das plötzlich Sinn.

Im nächsten Teil dieser Interviewreihe mit Uli Hanisch geht es um ästhetische und psychologische Konzepte in ›Die Tribute von Panem: Ballad of Songbirds and Snakes‹.

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Kristina Jaspers

Die studierte Kunsthistorikerin und Philosophin beschäftigt sich nicht nur mit Filmgeschichte, sondern auch mit dem anhaltenden Science-Fiction-Boom. Als Kuratorin sorgte sie dafür, dass Storyboards museumsfähig und Frauen hinter der Kamera ins Scheinwerferlicht befördert wurden.

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