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›Brennende Betten‹, von links: Trevor Watkins (Kamerabühne), André Clément (Kameraassistent hinter dem Worrall-Kurbelkopf), Judith Kaufmann
Foto: Jochen Hergersberg 

Es werde Licht! Kamerageschichte(n) in der Kinemathek

Inhalt

In diesem Jahr geht der renommierte Marburger Kamerapreis an den 1980 in Trondheim geborenen Sturla Brandth Grøvlen. Vielen bekannt ist er durch seinen Film ›Der Rausch‹ (DNK 2020, Regie: Thomas Vinterberg) mit Mads Mikkelsen sowie durch Sebastian Schippers ›Victoria‹ (D 2015), der in einer einzigen Kameraeinstellung gedreht wurde. In den Archiven der Kinemathek finden sich zu einer ganzen Reihe prämierter und außergewöhnlicher Kameraleute Filme, Dokumente, Links, Querverweise und Artefakte – und manchmal sogar Zeitzeug*innen.

Zum Beispiel in den Archivalien der Regisseurin (und Autorin) Pia Frankenberg. Bei ihrem Arthouse-Hit ›Brennende Betten‹ (BRD 1988) waren gleich zwei später in Marburg Ausgezeichnete beteiligt: die Nouvelle-Vague-Legende Raoul Coutard und Kamerafrau Judith Kaufmann. Mein Kollege Jochen Hergersberg, im Technikarchiv tätig, war 1988 als Tonassistent dabei und erinnert sich:

»Judith wollte damals unbedingt mit Raoul Coutard zusammenarbeiten, um von seiner Art der Kameraarbeit zu lernen. Dafür hatte sie die Stelle der Materialassistentin angenommen, obwohl sie schon seit Jahren erfahrene Kameraassistentin bei Thomas Mauch war. Außerdem schwenkte Coutard mit einem Worrall-Kurbelkopf. Nur wenige beherrschen das präzise Schwenken mit den zwei Kurbeln, in Deutschland ist dieses Verfahren gänzlich unüblich. Nach ungefähr der halben Produktionszeit hatte Judith Coutard gefragt, ob sie einmal eine Probe mitschwenken dürfte. Raoul gab ihr die Gelegenheit. Nach einigen Proben, als die entsprechende Szene dann gedreht werden sollte, sagte sie zu Raoul, dass er jetzt für die Aufnahme bitte übernehmen solle. Raoul stellte die Gegenfrage, ob sie die Probe für gut befunden hätte. Judith bejahte, worauf Raoul meinte, dass sie dann auch drehen solle. In den folgenden Drehtagen hat Judith immer häufiger die Kamera bei den Aufnahmen führen dürfen. Diese Situation sagt sehr viel über die Größe von Raoul Coutard aus.«

Coutard wurde 2001 der erste Preisträger in Marburg; Judith Kaufmann, die mit zahlreichen Produktionen wie ›Nico – Icon‹ (D 1995, Regie: Susanne Ofteringer), ›Elser‹ (D 2015, Regie: Oliver Hirschbiegel) oder jüngst erst mit ›Das Lehrerzimmer‹ (D 2023, Regie: Ilker Çatak) und ›In Liebe, eure Hilde‹ (D 2024, Regie: Andreas Dresen) ihren Ruf als Ausnahme-Kamerafrau unterstrichen hat, erhielt die Auszeichnung 2006.

Mitunter gerät die Zusammenarbeit von Regie und Kamera so harmonisch und fruchtbar, dass sich Dreamteams auf Dauer finden, prominente Beispiele waren etwa Rainer Werner Fassbinder und Michael Ballhaus oder Michael Haneke und Christian Berger. Aber auch vor gut 100 Jahren gab es das schon. Beispielhaft die langjährige Kooperation zwischen dem Regisseur und späteren Gründungsdirektor der Kinemathek Gerhard Lamprecht (1897–1974) und dem Kameramann Karl Hasselmann (1883–1966), die seit Mitte der 1920er-Jahre zahlreiche Filme zusammen realisierten, darunter das international erfolgreiche Sozialdrama ›Die Verrufenen‹ (D 1925) und ›Der Katzensteg‹ (D 1927), eine romantisch dunkle Adaption von Hermann Sudermanns Roman, der in der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon angesiedelt ist. Die Kamera, mit der dieser Film gedreht wurde, gehört heute zum Technikarchiv der Kinemathek, verschiedene Eindrücke von den Dreharbeiten finden sich im Fotoarchiv. Am 25. August 1958 führte Lamprecht für seine filmhistorische Sammlung ein Interview mit Hasselmann, das viel von der lustvollen Erinnerung an die gemeinsame herausfordernde Filmarbeit vermittelt:


»In der Regie bin ich schon genug damit herausgefordert, mich aufs Schauspiel zu konzentrieren. Da brauche ich einfach jemanden, der die Bildideen, die man gemeinsam hat, umsetzt, ohne dass man darüber nachdenken muss. Und Roland ist, was das angeht, fast wie ein Automat. Der beißt sich rein und dann funktioniert das. Es ist eine fantastische Zusammenarbeit.«

Regisseur Timm Kröger über die Zusammenarbeit mit dem Kameramann Roland Stuprich bei ›Die Theorie von Allem‹, der 2024 mehrfach für den Deutschen Filmpreis nominiert ist, darunter für die »Beste Kamera/Bildgestaltung«

Autor

Rolf Aurich

wuchs mit Schulfilmen der 1940er- und 1950er-Jahre auf und ging während des Studiums täglich ins Kino, wo er sich alsbald als Kartenabreißer ein Zubrot verdiente. Die Herausgabe einer nichtkommerziellen Filmzeitschrift bildete die Grundlage für vieles, was später kam, auch für die Arbeit als wissenschaftlicher Redakteur an der Kinemathek.

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